Beschreibung:
JOHANN HEINRICH TISCHBEIN 1722 Haina – 1789 Kassel LANDGRÄFIN PHILIPPINE VON HESSEN-KASSEL, GEBORENE PRINZESSIN VON BRANDENBURG-SCHWEDT (1745-1800) Öl auf Leinwand (doubl.). 85 cm x 70,5 cm. Verso: Von späterer Hand beschriftet: ‚J. H: Tischbein pinx: 1774 No. 89‘. Rahmen. Literatur: Eine vergleichbare Darstellung in Flohr, A. C.: Johann Heinrich Tischbein d. Ä. (1722- 1789) als Porträtmaler, WVZ, München 1997, in: Reihe Kunstgeschichte, Bd. 77, Abb. G 43. Provenienz: Hessische Privatsammlung. Johann Heinrich Tischbein der Ältere war ein vielseitiger und talentierter Maler, der mit 14 Jahren zunächst eine Ausbildung zum Tapetenmaler in Kassel begann – eine Spezialisierung in der Malereihierarchie, die als unterste Rangschicht angesehen wurde. Aber schon schnell erkannte Graf Stadion, der der Mäzen des noch jungen Malers wurde, die natürliche Gabe von Johann Tischbein. Der Graf ermöglichte ihm mit einem Stipendium Studienreisen durch Frankreich und Italien zu machen, um sein malerisches Talent zu perfektionieren und weiterzuentwickeln. In Paris, wo der holländische Maler Carle Vanloo sein Lehrer wurde, wurde er in die akademische französische Portrait- und Historienmalerei nach Hyacinthe Rigaud und Nicolas de Largillière eingeführt. Auf seinen weiteren Reisen durch Italien widmete der Maler sich der Aktmalerei unter Gianbattista Piazzetta, wo er den sich entwickelnden Klassizismus kennenlernte. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland machte Tischbein 1752/1753 in Kassel Bekanntschaft mit dem Landgrafen Wilhelm VIII. von Hessen-Kassel, der von dem Künstler begeistert war und ihn zu seinem Hofmaler ernannte. 1777 wird Tischbein Direktor der Akademie für Malerei, Bildhauerei und Baukunst in Kassel. Das Portrait der Nichte des Preußischen Königs wurde sehr wahrscheinlich anlässlich ihrer Vermählung mit dem 25 Jahre älteren Landgrafen Friedrich II. von Hessen-Kassel angefertigt, der seine zweite Ehe mit feierlichen Festivitäten Anfang des Jahres 1773 im Berliner Schloss beging. Philippine ließ sich in ähnlicher sitzenden Pose von Tischbein malen wie die erste Ehefrau Friedrichs II., die einige Jahre zuvor verstorbene englische Landgräfin Marie. Prunkvoller in der Ausgestaltung des Raumes und des kostbaren Schmucks sowie des dekorreicheren Kleids im Staatsportrait Philippines überstrahlt sie die Erinnerung an ihre Vorgängerin. Voltaire beglückwünschte den Landgrafen zu seiner erneuten Heirat und schrieb in einem Brief an ihn: “Le roi de Prusse m’a fait un portrait charmant de Mme la Landgrave. Il dit que c’est de toutes ses nièces la plus belle et la plus aimable.“ (“Der Preußische König hat mir ein charmantes Portrait von der Frau Landgräfin Marie anfertigen lassen. Er sagt, dass sie von all seinen Nichten die Schönste und Liebenswürdigste sei.“) Ein vergleichbares Werk von Tischbein mit leichten Abwandlungen befindet sich im Besitz der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen, im Schloss Wilhelsmthal bei Kassel (Inv. Nr. GK I 10719). Die Größe des herrschaftlichen Hauses lässt sich nur erahnen, wenn man die Säule hinter dem Tisch betrachtet, an der ein schwerer blauer Gardinenstoff diagonal hinter der Dargestellten drapiert wurde und das Auge über die Balustrade zum mit Pilastern verzierten Treppenhaus geführt wird. Die Landgräfin sitzt in aufrechter Haltung im Dreiviertelprofil, die Füße leicht überkreuzt und den linken Arm auf dem Tisch abgestützt. Sie trägt ein schimmerndes silbergraues Seidenkleid mit floraler Stickerei und üppigem Spitzenbesatz an den Ärmeln sowie an der Dekolletélinie, die mittig mit einer rosafarbenen Rose akzentuiert wird. Ihr linker Arm liegt auf dem weichen Fell des Hermelinmantels, den ihre Hand leicht umfasst und ihren Oberkörper sanft umhüllt. Die rechte Hand der Portraitierten ruht auf ihrem Schoß und hält einen gefalteten Fächer. Das Rot des Hermelinmantels wiederholt sich in den Schleifen der Ärmel und lenkt das Auge zum ebenfalls roten Samtkissen auf dem Tisch, auf dem die Landgrafenkrone gebettet ist und sie als Landgräfin auszeichnet. Standesgemäß ist sie mit opulentem Juwelenschmuck ausgestattet, der von ihrem Adelsstand als Prinzessin und Nichte des Preußischen Königs zeugt. Das Haupt ist mit einem Diadem bekrönt. Ihr zarter Hals wird mit edlem Ohrschmuck und einem kostbaren zweiteiligen Edelsteincollier betont. Das rechte Handgelenk ziert ein Samtband mit einer Portraitminiatur ihres Gemahls. Als Pendant dazu trägt sie am linken Handgelenk ebenso ein samtenes Band mit dem Anfangsbuchstaben Friedrichs II. Zwei rosafarbene Rosen finden sich wie an ihrem Dekolleté im Blumenstrauß auf dem Tisch hinter der Krone wieder. Auf die eheliche Vereinigung des Landgrafen von Hessen- Kassel mit Philippine von Brandenburg- Schwedt verweist ein Allianzwappen auf der Blumenvase oberhalb der Krone. Ein englischer Zeitgenosse beschreibt das Wesen und die Schönheit der Landgräfin wie folgt: “Ihre Durchlaucht ist eine sehr schöne Frau, anmutig von Person, lustig und lebhaft von Charakter. Sie ist in Gefahr, etwas stark zu werden, ein Übelstand, der in Deutschland nicht ungewöhnlich ist, den sie aber durch fleißige Leibesübungen hinauszuschieben bemüht ist. (…)“ Die Landgräfin verstarb im Jahre 1800 und vermachte ihr gesamtes Vermögen dem württembergischen Minister, Graf Wintzingerode, mit dem sie seit 1776 eine heimliche Ehe geführt haben soll. Literatur: Both, von Wolf; Vogel, Hans: Landgraf Friedrich II von Hessen- Kassel- Ein Fürst der Zopfzeit, Deutscher Kunstverlag, München 1973, S. 115- 119. Flohr, A. C.: Johann Heinrich Tischbein d. Ä. (1722-1789) als Porträtmaler, München 1997, S. 187, G 43. Heinz, M; Herzog, E.: Johann Heinrich Tischbein d. Ä. (1722- 1789), Kassel 1989, S. 40- 43, S.109, Abb. 13.